25 Jahre Positive Records: Vom Schulchor zum Crustcore (Interview, Teil 2)

Positive Records feiert 25jähriges Jubiläum. Backs, die One-Man-Show hinter dem Konzertveranstalter aus dem Ruhrpott, blickt mit uns auf die Höhen und Tiefen des Geschäfts und erzählt, warum er extra für Gorilla Biscuits-Sänger Civ nach New York geflogen ist.
Ein Mann, eine Frisur, ein Gesichtsausdruck: Backs erkennt man. Wer im Ruhrpott oder Köln regelmäßig auf Hardcore-, Punk- oder Metal-Konzerten geht, der kennt den grimmig guckenden Glatzkopf am Eingang, der eigentlich ganz lieb ist. Sein schwarzer Hoodie mit der Aufschrift „Positive Records“ ist zum Markenzeichen geworden – in doppelter Hinsicht. Positive Records wurde am 1. Juli 1992 in Dorsten gegründet. Seit 25 Jahren veranstaltet Backs nun Konzerte. Früher nur im Ruhrpott, heute in ganz NRW. Aus diesem Anlass haben wir uns mit ihm unterhalten.
Den ersten Teil des Interviews lest ihr hier.  Der zweite Teil des Positive-Records-Jubiläums wird am 11. Juli im Kulturtempel in Oberhausen gefeiert – mit dabei sind Defeater, Landscaps, A Traitor like Judas, Gnarwolves, Last Shreds, Took The Oath und Second Sight. 
GETADDICTED: Was für Anfängerfehler hast du gemacht? Welche Tipps würdest du Leuten geben, die Bock haben Konzerte zu organisieren?
Backs: Tipps zu geben ist schwierig. Ich habe beispielsweise nie gesagt, dass ich davon leben will Konzerte zu organisieren. Es war also nie so geplant. Den Traum hat man natürlich, aber ich habe damit nie gerechnet. Damals war das ja ganz anders als heute. Die Bands haben getourt, weil sie Urlaub hatten und kamen dann nur alle drei, vier Jahre nach Europa. Da hast du natürlich auch ganz andere Gagen aufgerufen und Eintrittspreise von 10 DM für Amibands genommen. Jetzt habe ich die Frage vergessen.
GETADDICTED: Hast du Tipps für Leute, die heute Konzerte organisieren wollen?
Backs: Achso, ja. Ganz wichtig: Nicht so viel Geld reinstecken. Wenn die Leute das als Hobby machen wollen, dann sollen sie das gerne tun. Ich habe da auch früher meinen Lohn reingesteckt, aber da ist natürlich einfach auch immer viel Risiko bei – gerade bei den kleinen Shows. Wenn bei den kleinen Shows mal was hängen bleibt, dann ist das schön, aber du bezahlst davon keine Miete, keine Versicherung, kein Garnix. Wirklich leben kann man nur von den großen Shows.
Den Bands kann ich nur empfehlen: Kauft euch einen Van. Damit senkst du die Kosten und kannst damit durch halb Deutschland fahren. Am Anfang ist das doch immer erst einmal ein Hobby und Hobbies kosten Geld. Wenn mein Hobby Modeleisenbahn ist, dann kommt auch keiner und schenkt mir eine Lok.
GETADDICTED: Wann hast du dich denn zuletzt über ein Konzert so richtig geärgert?
Backs: Ärgern tu‘ ich mich eigentlich nicht mehr. Über viele Kleinigkeiten darf man sich auch gar nicht ärgern, die nehme ich einfach so hin. Es gibt natürlich schon noch Dinge, bei denen ich mich frage: „Warum muss man solchen Sachen jetzt machen?” Kleinere Bands, die extra eingeflogen werden, um in kleinen Clubs vor kleinem Publikum zu spielen. Die Veranstalter zahlen bei solchen Konzerten eigentlich immer drauf. Anders herum ist es natürlich auch ärgerlich, wenn du bestimmte Bands in kleineren Locations buchst und diese damit aufbaust; aber bei den ersten profitablen Shows arbeiten sie dann mit anderen zusammen.
GETADDICTED: Das heißt, dass sich mit den Jahren auch einige Dinge für kleine Konzertveranstalter wie dich verändert haben?
Backs: Natürlich. Früher war ja alles szeneintern, da gab’s ja auch kein Geld zu verdienen. Die ersten acht Jahre Positive Records waren wirklich reines Hobby, neben dem Beruf und am Wochenende.
So richtig klassisch Ruhrpott also: Unter der Woche auf Zeche und dann am Wochenende „Gib ihm“?
Backs: Nein, in der Zeche habe ich nur meine Lehre gemacht. Dort habe ich 1995 aufgehört und anschließend in einem Tattoostudio gearbeitet.
GETADDICTED: Ach, das Stechen hast du dir auch nebenbei selbst beigebracht?
Backs: Auch falsch. Im Tattoostudio habe ich nebenbei den Shopmanager gemacht. Künstlerisch bin ich wirklich unbegabt – das einzige was ich kann ist ein bisschen singen. Ich war auch meine ganze Schulzeit im Schulchor. [grinst]
GETADDICTED: Vom Schulchor zum Crustcore, nicht schlecht.
Backs: Ende der Neunziger, Anfang 2000er gab es dann eine Tattooflaute und der Laden hat sich für uns beide nicht mehr gelohnt. Wir haben uns 2000/2001 freundschaftlich getrennt und sind heute noch gut befreundet. Ich habe mich danach komplett selbständig gemacht und viel Stagehand und so einen Kram bei Veranstaltungen gemacht: Von DJ Bobo in der KölnArena über Holiday On Ice bis zu den Höhnern habe ich überall gearbeitet. Währenddessen ist Positive Records aber immer weiter gewachsen – und das reichte dann auch irgendwann für mich. Ich brauche halt nicht viel. Im Urlaub war ich zuletzt 2000.
GETADDICTED: Wo warst du da?
In New York. Lustigerweise aber auch nur, um mich tätowieren zu lassen.
GETADDICTED: Erzähl mal.
Backs: Ich war bei Civ von den Gorilla Biscuits. Er ist ein echt guter Tätowierer und hat in Long Island einen eigenen Laden, also nicht direkt in New York. Ich habe auch ein bisschen gebraucht, um den Laden zu finden, weil niemand auf der Straße die Adresse kannte, die ich gesucht habe. Später stellte sich dann heraus, dass der Laden auf Long Island ist. Da brauchte ich dann fast eine Stunde hin mit dem Auto – und das war wirklich mitten in der Pampa. Obwohl er später meinte, dass ich auch einfach mit dem Zug hätte fahren können, mit dem wäre ich innerhalb von 30 Minuten in Manhattan gewesen.
GETADDICTED: Und wie war der Termin, was hast du dir von Anthony Civarelli
stechen lassen?
Backs: Das war schon ganz nett. Wir hatten vorher gemailt und telefoniert, um einen Termin auszumachen und das Motiv zu besprechen. Er hat mir einen „Unity“-Schriftzug auf den Arm tätowiert. Für mich haben alle meine Tattoos eine Bedeutung, die sind nicht nur da, um schön auszusehen. Ich spreche da aber auch nicht wirklich drüber. [grinst] GETADDICTED: Auch nicht heute?
Backs: Wie gesagt, ich spreche da nicht rüber. In dem Fall kann man sich das aber auch denken: Ich meine, ich lassen mir einen „Unity“-Schriftzug vom Sänger von Gorilla Biscuits tätowieren. [grinst] Ich hatte damals immer gehofft, dass er mal nach Europa kommt und das ich das hier stechen lassen kann, aber es war wohl noch nicht soweit.
GETADDICTED: Warum musste es genau Civ sein, ist er so etwas wie dein Idol?
Backs: Nein, Idole habe ich nicht. Ich sage immer, wenn Musiker aufs Klo gehen, dann kommt genau das Gleiche raus wie bei mir. Idole anhimmeln finde ich total bescheuert. Die meisten Musiker freuen sich auch, wenn sie von den Gästen total normal behandelt werden. Aber natürlich war das damals schon eine coole Sache. Ich persönlich habe mich auch gefreut, als ich damals mein erstes Agnostic-Front-Konzert veranstaltet habe. Es ist grundsätzlich schon was Besonderes.
GETADDICTED: Gehst du denn privat noch viel auf Konzerte?
Backs: Weniger als früher, muss ich zugeben. Die Bands, die ich sehr liebe, die spielen zum Teil nicht mehr. Ich stehe halt mehr auf alte Sachen. Viele Bands, die ich mag, die veranstalte ich auch selbst – was dann praktisch ist. [grinst] Aber es sind ja auch so um die fünfzig Shows im Jahr, die reichen mir dann meistens schon. Wenn ich auf Konzerte gehe, dann auch um die Bands zu treffen – gerade weil mir, auf meinen eigenen Shows, oft gar nicht die Zeit beleibt, mich richtig mit den Bands zu unterhalten.

Alte Positive-Records-Flyer 2006 bis 2007, Fotos: Backs / Positive Records

Alte Positive-Records-Flyer 2006 bis 2007, Fotos: Backs / Positive Records

GETADDICTED: Welche Bands hast du als Veranstalter groß werden sehen?
Backs: Ein schönes Beispiel sind Parkway Drive. Die ersten Shows, die die hier gespielt haben, da waren sie Vorvorband von Shai Hulud. Ich glaube, das muss 2007 in der Matrix in Bochum gewesen sein. Das Lustige war aber schon, dass alle nach der Vorvorband abgehauen sind, weil die Shai Hulud gar nicht kannten.
Und in Dorsten habe ich 1998 Boysetsfire gemacht. Ich bin mir heute noch ziemlich sicher, dass das Konzert damals 10 DM gekostet hat, weil ich nur ein Konzert im Jugendzentrum veranstaltet habe, das mehr gekostet hat – und da haben vier Bands aus den USA gespielt.
Eine der Bands, mit denen ich am längsten zusammenarbeite, ist Comeback Kid. Die habe ich auf ihrer ersten Tour mit Champion gemacht. Mit denen komme ich menschlich auch total gut klar.
GETADDICTED: Was ist dein bester Positive-Records-Moment?
Backs: Der ist immer schwierig zu sagen. Also damals auf der Deconstruction-Tour in Herne, da stand ich irgendwann auf der Bühne und habe fast geweint. Du stehst da vor fast 3500 Leuten und dieses Gefühl, wenn du das realisierst… dieser Moment… Ich meine, ich habe mit kleinen Shows in Dorsten angefangen und habe nicht damit gerechnet, dass es so groß wird. Das ist schon unglaublich gewesen. Ich dachte nur so: Wow! Es gab nur eine Show, die ich gemacht habe, die größer war – und das war Ska-P 2009 in Oberhausen mit 4000 Zuschauern.
GETADDICTED: Wie kommst du an solche Shows?
Backs: In diesem Fall war es wirklich purer Zufall. Die Deconstruction-Tour sollte eigentlich in Köln stattfinden, das wusste ich vorher. Dann bekam ich aber kurz vorher abends um acht Uhr einen Anruf: „Backs, hast du zufällig eine Location für dreieinhalbtausend Leute?“ Ich meinte dann nur so: „Joaaa, warum geht es denn genau?“ Und dann war relativ schell klar, dass es um genau diese Tour ging. Der Kölner Veranstalter hatte wohl damals die Location für den falschen Monat gemietet. [grinst] GETADDICTED: Und was war denn der beschissenste Positive-Records-Moment?
Backs: Als ich mein zehnjähriges Jubiläum gefeiert habe, da wäre ich fast pleite gegangen. Ich habe damals auch ein Festival organisiert bei dem The Distillers, D.O.A und Integrity spielen sollten. Das Festival war damals im Jugendzentrum Papestraße in Essen – und Integrity haben ihre Tour kurz vorher verschoben. Das Problem war aber auch, dass fünf Kilometer weiter, in der Zeche Carl, auf einmal die Dead Kennedys gespielt haben.
GETADDICTED: Wie kann das denn passieren?
Backs: Naja, ich habe das natürlich auch gelesen, aber es wurde immer ein anderes Datum angegeben. Ich wusste natürlich damals auch, dass Rheinkultur am gleichen Tag war, aber dass es auf einmal so viel Konkurrenz in unmittelbarer Nähe gab, war schon ärgerlich. Es kamen dann viel zu wenig Leute in die Papestraße. Ein paar Wochen später ist zusätzlich auch noch ein Strife-Konzert in die Hose gegangen. Hätte ich zu dem Zeitpunkt meine Eltern nicht gehabt, dann würde es Positive Records wohlmöglich nicht mehr geben. Das war wirklich hart.
https://www.facebook.com/positiverecords.DE/photos/a.325472184139212.82020.325469550806142/1599364973416587/?type=3&theater
GETADDICTED: Hast du in der ganzen Zeit mal Hausverbote ausgesprochen?
Backs: Ja, aber sehr selten. Eine Person hat auch definitiv immer noch Hausverbot. Die Person hat eine Mitarbeiterin von mir sexistisch beleidigt, das geht gar nicht. Solche Leute haben Hausverbot auf Lebenszeit. Mich kann jeder beleidigen, aber meine Leute nicht! Normalerweise kommt sowas aber nicht vor. Ich brauche auf den meisten Shows ja noch nicht mal Security, aber die Clubs wollen das so.
GETADDICTED: An welchen Punkt hast du dich entschieden, dass du davon leben willst, Punk- und Hardcore-Shows zu veranstalten?
Backs: Aktiv dazu entschieden habe ich mich eigentlich nie. Der Punkt, an dem ich es versucht habe, war, als ich bei dem Tattoostudio in Dorsten ausgestiegen bin. Ein bisschen bin ich dazu gezwungen worden, aber mittlerweile kann ich sagen, dass ich nichts Anderes mehr machen kann, will oder muss.
GETADDICTED: Zum Abschluss: Was war das beste Konzert, dass du als Zuschauer gesehen hast?
Backs: Das Konzert von Bad Religion in der Zeche Carl – das war, meine ich 1989, auf der Suffer-Tour. Das war von der Stimmung her das Beste, was ich bisher erlebt habe. Ich habe sogar noch ein T-Shirt von der Show; T-Shirts schmeiße ich nicht weg. Es soll sogar schon gestandene Männer gegeben haben, die beim Anblick meines Kleiderschranks fast angefangen haben zu heulen. [grinst] Hier geh’s zum ersten Teil des Interview: „25 Jahre Positive Records: „Diese ganze Intoleranz geht mir auf den Keks“ (Teil 1)“
(Interview: Mathias Schumacher, Vier-Augen-Prinzip: Philipp Schulte)