Früher und heute: Boysetsfire und Jimmy Eat World

Es ist vielleicht Zufall, dass Boysetsfire und Jimmy Eat World ihre neuen Alben fast gleichzeitig veröffentlichen. Es ist aber kein Zufall, dass die beiden Werke bei uns nicht sofort Album des Monats werden. Weil sie es einfach nicht können.

In seinem Review zu „While A Nation Sleeps“ schreibt Michael Blatt von Erinnerungen – an ein Konzert in Dorsten 1998. Mir fallen spontan ähnliche Geschichten auch zu Jimmy Eat World ein, wie die „Unterhaltung“ mit Nabil. Er: „Jimmy Eat World spielen heute in Marl.“ Ich: „Kenn ich nicht.“ Nabil: „Egal, du kommst mit! Wird dir gefallen!“ Im Schacht8 waren an diesem Abend vielleicht 70-100 Leute, die – wie Nabil – die Band schon kannten, obwohl „Clarity“ hier eigentlich noch gar nicht veröffentlicht war, oder die – wie ich – einfach mitgegangen sind.
Es sind auch andere Erlebnisse: Diese eine WG-Party in der Nähe der RUB, bei der Radio lief, zum ersten Mal „Lucky Denver Mint“ im 1LIVE Kultkomplex gespielt wurde und bei der so viele Dinge passiert sind, dass es gut ist, dass quasi niemand meiner heutigen Bekannten dabei war. Oder der Moment, als ich von der gesamten Welt – mindestens aber vom gerade vorbeigegangenen Abend – so bitter enttäuscht war, zuhause in meinem schalldichten Gartenblockhaus meine Gitarre geschnappt und aus tiefster Seele und heillos betrunken „And how long would it take me to walk across the United States all alone“ gebrüllt hab. Das klang mit allergrößter Sicherheit grausig, fühlte sich in dem Moment aber genau richtig an.
Ich könnte – wahrscheinlich genau wie Michael – so noch lange weitermachen. Sind wir also die „Früher war alles besser“-Typen? Nein. Vielmehr haben Bands wie Boysetsfire, Jimmy Eat World oder auch die Get Up Kids den Soundtrack zu einer Phase in unserem Leben geschrieben. Das sind nicht einfach Lieder. Das sind vielleicht prägende oder zumindest tief eingebrannte Erinnerungen, die mit diesen Platten verknüpft sind. Was jetzt veröffentlicht wird, sind Songs – die noch keine Geschichte haben, ja, haben können. Und die Geschichte wird vielleicht irgendwann ein Urteil über sie fällen.
P.S. Bei besagtem Konzert im Schacht war ein mir damals völlig unbekannter Typ, der mit seiner Videokamera bei einigen Konzerten draufgehalten hat und diese Videos bei Youtube veröffentlicht hat. Die Qualität ist teilweise entsprechend (Neunziger!), aber die Bilder halten eben Erinnerungen fest. Der Typ heißt übrigens Michael Blatt.