Interview mit Die Nerven 2015

Nach ihrem Album „FUN“ galten Die Nerven als Kritikerlieblinge. Mit dem Nachfolger „OUT“ wollen sie ihren Kern gefunden haben. Wir haben mit Bassist und Sänger Julian Knoth über die Aufnahmen in Bayern, das Artwork und Krach gesprochen.

Die Nerven - Out

Die Nerven – Out

GETADDICTED: Auf den letzten beiden Covern war jeweils ein androgyn wirkendes Mädchen zu bewundern. Jetzt sieht man zwei Hände die sich annähern. Wo sind sind die Mädchen jetzt hin?
Julian Knoth: Die gibt es natürlich immer noch, aber nicht mehr auf unserem Cover. Wir hatten, nachdem wir das Album aufgenommen haben, das Gefühl, dass es was anderes ist. Wenn „FUN“ die reifere Version von Fluidum ist, dann haben wir das Gefühl, dass wir jetzt eine größere Entwicklung gemacht haben. Für uns war klar, dass sich das auch im Artwork widerspiegeln muss und wir mit den Mädchen auf dem Covern nicht weitermachen sollten. Wir haben die Idee eh schon überreizt mit dem zweiten Cover.
GETADDICTED: Was soll das jetzt mit den Händen? Wollt ihr euch mit irgendwem versöhnen? Der deutschen Musikszene?
Julian: Wir sind doch nicht mit der deutschen Musikszene zerstritten. Wir haben ja überhaupt nichts damit zu tun, wir machen einfach nur Musik und halt zufällig auf Deutsch. Ich sehe in dem Artwork gar nicht so viel und das finde ich gut. Jeder hat eine andere Meinung, jeder kann etwas Anderes darin sehen. Irgendwie ist es mythisch, irgendwie ist es komisch. Ich verstehe es selbst nicht. Wir haben nichts damit beabsichtigt. Das ist eine Idee, die Max (Gesang, Gitarre) eingefallen ist, und dann haben wir es umgesetzt.
GETADDICTED: Erst „FUN“, dann „OUT“. Schon zum zweiten Mal habt ihr einen englischen Albumtitel gewählt.
Julian: Das hat sich ergeben. Als wir überlegt haben, wie wir das Album nennen sollen, gab es keinen Titel, der länger als ein Wort war. Es war klar, dass es ein Wort sein muss. Was sich auch seit Fluidum durchzieht. Es waren nicht alle Vorschläge auf englisch. Was viel wichtiger ist, als dass es ein englischer Titel ist, ist dass ihn jeder versteht und dass man ihn sehr verschieden deuten kann. Genau wie fun ist out ein Wort, das universell ist und das in jeder Sprache verstanden wird. Allein aus dem Grund, weil es auf einem MP3-Player steht oder weil es ein technischer Begriff ist. Für mich hat es aber eben auch diese Weite. Draußen sein, weg sein. Gleichzeitig hat es etwas Einsames. Wenn man out ist, ist man für sich alleine oder nicht am Puls der Zeit. Fun hat nur mit dem Plattencover zusammen funktioniert, jetzt war es uns wichtig, alles offener zu haben. Wir wollten deutungsoffen arbeiten, das zieht sich auch durch die Art, wie wir texten durch.
GETADDICTED: Wolltet ihr denn damit etwas Bestimmtes proklamieren? Was zum Beispiel out ist.
Julian: Nein, überhaupt nicht. Es bietet sich natürlich wieder für Wortwitze an. Das zieht sich jetzt nicht absichtlich bei uns durch. Wir haben diesen Bandnamen irgendwann gewählt und damit müssen wir eben leben. Viele machen Witze darüber: „Die nerven ja, haha.“ Out bietet sich natürlich auch dafür an, ist aber nicht der Hauptgrund warum das Album so heißt. Wir wollten damit überhaupt nichts proklamieren. Nach dem „FUN“ so durch die Decke gegangen ist, war es unser Bedürfnis, uns selbst da raus zu nehmen. Wir selbst zu sein. Wenn man ins Outback zieht, dann kann man sich da wieder finden. Das hat auch mit dem Entstehungsprozess zu tun. Wir sind nach Bayern gefahren, haben im August 2014 die Songs geschrieben und aufgenommen haben wir das Album in einer Sägemühle in einem Wald. Es hat viel mit Weggehen zu tun.
GETADDICTED: Wenn ihr das Album in so kurzer Zeit geschrieben habt, seid ihr dann in kurzer Zeit wahnsinnig produktiv und den Rest der Zeit einfach sehr faul?
Julian: Wir arbeiten ziemlich schnell und konzentriert. Mittlerweile sind wir sehr eingespielt. Wir können beim Musik machen und auch zwischenmenschlich auf uns vertrauen. Wir haben die Stücke sehr schnell an einem Ort geschrieben und weit weg von allem anderen. Wir haben sie danach noch weiterentwickelt, mitgenommen auf die dreiwöchige Tour und viel ausprobiert. Eine Woche nach der Tour sind wir direkt ins Studio gegangen.
GETADDICTED: Beim ersten Hören dachte ich, ihr hättet euch ein Mikro in den Raum gestellt und angefangen. Ich wollte das Wort vermeiden, aber irgendwie hat es einen Jamcharakter.
Julian: Ich kann das verstehen. Wir waren eben fünf, sechs Tage mit unserem Produzenten Ralf in diesem Raum und hatten uns genügend Zeit eingeplant, die Stücke noch zu entwickeln, obwohl sie von der Struktur alle relativ fertig waren. Beim Prozess vom Aufnehmen waren wir eben wieder so weit weg von allem anderen und wir konnten uns richtig konzentrieren. Wahrscheinlich sind sogar einige Jams noch mit auf der Platte. Ralf hat auch mal gesagt, dass es er das Gefühl hatte, während wir die Songs eingespielt haben, out of space zu sein. Da kommt eben wieder das out vor. In manchen Momenten waren wir in einer anderen Welt. Wie in Trance. Wir waren zwar fokussiert, haben gleichzeitig eine spielerische Leichtigkeit gefunden – in den Songs und den Strukturen. Eben weil wir als Band gewachsen sind und uns sicher in diesen Spielereien verlieren können.
Die Nerven, Foto: Patrick Herzog

Die Nerven, Foto: Patrick Herzog

GETADDICTED: Du sprichst von Strukturen. Bei wenigen Songs auf dem neuen Album offenbart sich diese Struktur. Am ehesten noch „Barfuß durch die Scherben“. Ist das eine gewollte Ziellosigkeit?
Julian: Da steck ich zu sehr drin, um das zu bewerten, für mich ist das alles total logisch. Es gibt natürlich nicht die klassische Struktur eines Popsongs, oder nur ganz selten. Selbst bei „Wüste“, was von der Intonation ein klassischer Popsong sein könnte, ist zerhackt in verschiedene Teile oder eben auch nicht, weil es so durchgeht. Aber es ist eben keine klassische Struktur, sondern die Struktur, die wir uns selber geschaffen haben, weil sie eben auch aus Jams entstanden sind und wir sie dann weiterentwickelt haben.
GETADDICTED: Wie wichtig war es euch, dass das Album eine Einheit bildet?
Julian: Ja, das war uns schon sehr wichtig. Hat sich aber auch so ergeben. Wir sind mit acht, neun Songs ins Studio gegangen und dann hatten wir noch zwei halbe Stücke. Aus denen haben wir noch einen gemacht. „Jugend ohne Geld“ ist die Studiogeburt. An dem haben wir noch viel rumgebastelt.
GETADDICTED: Fühlt sich eine Studiogeburt für euch anders an?
Julian: Die Studiogeburten hatten wir schon immer. Es gibt auf jedem Album zwei, drei Stücke die im Studio entstanden sind. „OUT“ ist aber das Album mit den wenigstens davon. Wir haben Sachen umgestellt, aber die Ideen waren alle schon davor da. Wir wollen natürlich, dass die zehn Songs ein Album sind, dass es eine Einheit ist. Deshalb haben wir vorher auch schon an allem gearbeitet, um gut vorbereitet zu sein, aber gleichzeitig auch die Freiheit im Studio alle Ideen zuzulassen.
GETADDICTED: Wolltet ihr an eurer Krachattitüde festhalten?
Julian: Die Musik entsteht einfach irgendwie. Warum das so ist, wissen wir selbst nicht. Die Platte ist poppiger und groovt mehr als die Alben davor, weil wir es gelernt haben und wir zeigen wollten, was wir im Zusammenspiel können. Gleichzeitig ist sie noch viel brutaler als die Anderen. Uns war es wichtig, den Schritt zu gehen, alles noch intensiver zu machen. Die ruhigen Stellen ruhiger, die lauten Stellen lauter, die poppigen Stellen poppiger und die schrägen Stellen schräger. Es ging uns darum, alles differenzierter zu gestalten. Bei „FUN“ war es wichtig, dass die dreißig Minuten durchgingen wie ein Brett. Jetzt wollten wir zeigen, was wir für Erfahrungen in dem Jahr gemacht haben, was wir so mitgenommen haben.
GETADDICTED: Nach „FUN“ galtet ihr ja gemeinhin als Kritikerlieblinge. Ist dadurch eine Erwartungshaltung an euch selber entstanden die ihr erfüllen wolltet?
Julian: Das Gefühl hatten wir eine kurze Zeit, nachdem das Album rauskam, weil wir auch keine neuen Songs mehr geschrieben haben. Die Befreiung war dann, sich einfach nach Bayern in den Wald zurück zu ziehen, uns abzuschotten und vom Gefühl ganz von vorne anzufangen. Wir wollten uns von allem los machen und uns darauf zu konzentrieren, dass wir zu dritt sind und Musik machen. Mit den Songs, die wir da geschrieben und aufgenommen haben, hab ich erst richtig das Gefühl bekommen, dass wir uns gefunden haben. Wie wir klingen wollen, wie wir sein wollen. Man kann uns zwar als Kritikerlieblinge bezeichnen, was ich aber schön finde ist, dass viele Leute zu unseren Konzerten kommen. Ich sehe uns nicht als Kritikerlieblinge, sondern vor allem als Liveband. Die Konzerte machen mir am meisten Spaß und sind unsere größte Stärke. Als wir beim Roskilde letztes Jahr gespielt haben, war das ganze Zelt voll. Das hat uns wieder gezeigt, dass es nicht um Reviews oder Hypes geht, sondern darum, Konzerte zu spielen.
GETADDICTED: Liest du noch was über euch geschrieben wird?
Julian: Ich lese schon relativ viel, was da geschrieben wird, aber ich kann es mittlerweile distanzierter betrachten. Das musste ich aber auch erstmal lernen.
GETADDICTED: Versucht ihr authentisch zu sein?
Julian: Nö. Wir machen einfach so wir denken und das merkt man auch. Wir haben ein gutes Umfeld, das in uns vertraut. Sei es das neue Label oder auch das alte Label. Die lassen uns immer machen. Wir haben die Platten immer so abgeliefert, wie wir sie haben wollten. Auch die Leute mit, denen wir auf Tour gehen, sind sehr familiär, da labert niemand Scheiße. Ich glaube da hat sich in den letzten Jahren viel geändert. Es gibt nicht mehr die klassischen Szenecodes. Ich bin halt auch unter Musikern unterwegs und nicht in einer Szene. Okay, auf einer Art und Weise schon in einer bestimmten Szene, aber die Übergänge sind fließender geworden. Klar gibt es wahrscheinlich irgendwelche Codes, aber die kann ich selbst nicht benennen, weil ich selber drin steck.
Die Nerven, Foto: Patrick Herzog

Die Nerven, Foto: Patrick Herzog

GETADDICTED: In dem Ankündigungvideo zum Album spielt ihr auf eure verkopften Nebenprojekte an. Karies, All diese Gewalt. Wie wichtig ist es für euch, dass es diese Projekte noch gibt?
Julian: Das ist extrem wichtig. Das Spannende und Interessante an den Nerven ist der künstlerische Kompromiss, den wir drei eingehen müssen. Wir haben alle andere Vorlieben, mögen andere Dinge und mögen gemeinsam Dinge. Wir haben alle drei eine sehr starke eigene Meinung und es ist dann interessant, was dabei rauskommt. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, dass jeder seine Vorstellung noch in anderen Bands und Projekten umsetzen kann, ohne solche großen Kompromisse zu machen.
GETADDICTED: Gab es Kompromisse mit denen du selber unzufrieden warst?
Julian: Wir haben die Devise, dass es keine 2:1 Entscheidung in der Band gibt. Es müssen immer alle dafür sein oder man muss es eben so lange ausdiskutieren, bis alle überzeugt sind und damit leben können. Deshalb kann ich jetzt nicht sagen, dass es einen Kompromiss gab, mit dem ich im Nachhinein nicht zufrieden bin. Es gab sicherlich Entscheidungen, mit denen ich anfangs unzufrieden war, aber mit das hat sich dann auch geändert.
GETADDICTED: 2013 ist der Sampler „Von Heimat kann man hier nicht sprechen“ mit diversen Bands aus dem Raum Stuttgart wie Human Abfall, Levin Goes Lightly und eben euch erschienen. Hat sich seitdem etwas verändert?
Julian: An der Basis hat sich nicht viel verändert. Es sind, plus minus, immer noch die gleichen Leute die auch fast alle noch in Stuttgart leben. Was sich verändert hat sind die Orte. Es ist immer noch das Platzproblem, um kreativ zu sein. Seitdem der Sampler erschienen ist, werden wir auf jeden Fall als diese Szene und Bands aus Stuttgart wahrgenommen. Deutschlandweit, zum Teil auch international. Das Label Treibender Teppich Records wurde noch gegründet. Es passieren Dinge und der Sampler war ein wichtiger Bestandteil, dass wir Verknüpfungen untereinander hergestellt haben. Wir sind freundschaftlich verbunden und haben Lust drauf, dafür einzustehen und das zu verteidigen. Man unterstützt sich und spielt gemeinsam in Bands. Wir haben uns halt einen Namen gemacht als die Krachbands aus Stuttgart.
GETADDICTED: Hast du schonmal drüber nachgedacht einen fröhlichen Song zu schreiben?
Julian: Drüber nachgedacht hab ich noch nie. Ich hab bestimmt auch schon fröhliche Songs geschrieben, aber nicht im Kontext mit Die Nerven. Ich glaub ich bin einfach nicht gut darin, fröhliche Songs zu schreiben, egal für welche Band. Fröhlich ist es meistens nie. Es kann schon lustig sein, aber dann ist es meist auch wütend, draufgängerisch. Auf „OUT“ sind wahrscheinlich ein paar fröhlichere Songs drauf, aber ob die jetzt fröhlich sind oder einfach nur fröhlicherer als die anderen sind, kann ich nicht sagen. Die Nerven sind halt unser Ventil.
GETADDICTED: Ein Ventil für was?
Julian: Für Wut und Düsternis.
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