Punkrock-Reise Italien – Festivals, Punkrockshows, AZs, Plattenläden und Bands

Nele Addicted war auf Punkrock-Reise in Italien und hat ein paar Empfehlungen für Plattenläden, autonome Zentren, Newcomerbands und Konzerterlebnisse in Bologna, Ravenna, Cesena und Perugia mitgebracht. Alerta!

Punkrockreise Italien – eine subjektive Empfehlung mit Willen zur Unvollständigkeit

Wer keinen Bock hat, lange Texte zu lesen, dem sei so viel gesagt: Fahr nach Bologna! Egal, was die anderen sagen. Und dann trau dich nach Umbrien. Nimm nur so viel Kohle mit, wie du für Rotwein und Spenden dalassen willst und verlass dich drauf, dass am Ende auch wer ne Schlaf-Couch für dich hat.

Dario beim No Glucose-Festival

Dario beim No Glucose-Festival

Bologna ist wie Berlin. In klein. Es gibt einen ganzen Haufen Italiener, die diese Stadt überbewertet finden und jede Menge ERASMUS-Studierende und TouristInnen, die absolut steil darauf gehen. Hier gibt es alles, was dein Musik-Herz begehrt: Gut sortierte Plattenläden, ein autonomes Zentrum, das natürlich und leider um seine Existenz kämpft und Konzerte zu Hauf.  Das schönste, was ich hier im Norden Italiens besucht habe, war das No Glucose Festival. Ein kleines DIY-Ding, entstanden aus einer Disco-Nacht. Die Idee dazu ist im Kopf von Dario Falcone entstanden. Gerade 25, gerne im Hawai-Hemd anzutreffen. Vor drei Jahren hat er in Bolognas Covo-Club zusammen mit Aturo, einem der ersten Autoren des rennomierten Rumore-Magazins, aufgelegt. Kleine Ehre für ihn. Und weil man sich nun ja schonmal kannte, hat Dario die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und gefragt: Wollen wir nicht ein Festival zusammen machen?

Solkì: Schräger Noise-Pop-Rock aus der Toscana

„Nein, gefehlt hat uns musikalisch in Bologna eigentlich nichts. Das was wir beim No Glucose-Festival machen, ist jetzt nicht so anders als das, was du an anderen Orten in Bologna findest“, gesteht mir Dario beim Wein in einer klassischen Bottega del Vino: „Aber wir waren einfach total enthusiastisch und wollten die Bands einladen, die wir gerne mögen.“ Im ersten Jahr, 2015, führte das zu einem Abend voll mit Indie und ein bisschen Shoegaze. 2017 stehe ich im Innenhof des Mikasa und staune nicht schlecht, wie voll der kleine Hof schon Nachmittags ist. Headliner ist wieder eine amerikanische Indie-Größe: Ducktails. Eine Ein-Mann-Band mit viel Verzerrer und ruhigen Pop-Anleihen. Aber rundherum gibt es jetzt zwei Tage auch jede Menge starken Punk und Hardcore aus Italien. Meine Lieblings-Kapelle aus dem Line-Up sind Solkì. Wunderbar schräger Noise-Punk mit wunderbar schräger weiblicher Stimme und wechselnd zwischen treibender Hektik und ausufernden Impro-Parts. Gerade erst ist ihr Album „Peacock Eyes“ raus, dass du dir manchmal auf Kopfhörern vor lauter Lärm nicht geben kannst.
Solkì kommen aus der Toskana, haben also an Anreise und Abreise insgesamt gut vier Stunden durch Italien vorzuweisen.

Solkì beim No Glucose-Festival, Bologna

Solkì beim No Glucose-Festival, Bologna

Das hält sie aber nicht davon ab, sich mit allen anderen den gesamten Abend zwischen den Fanzine-Ständen, erwärmten Rotweinflaschen und der DIY-Essensausgabe rumzutreiben. „Für mich ist das Besondere, dass wir auf dem Festival keinen Unterschied zwischen Veranstaltern, Bands und Besuchern finden. Gerade dieses Jahr haben wir es geschafft, dass das Festival eine Art Kollaboration zwischen diversen Veranstaltern geworden ist.“ Denn neben seinem Job beim Covo-Club hat Dario auch Kontakte zum Locomotiv-Club und dem Freakout, wo normalerweise die auch mal Touché Amoré oder Against Me! ihren Weg in die Stadt finden. Wenn hier jemand von einer Band auf der Durchreise weiß, dann schickt er sie rüber zum No Glucose. So freut sich Dario am Ende seiner zwei Tage nicht nur, dass das Festival jedes Jahr ein bisschen wächst, sondern auch dass die anderen Veranstalter, Label-Menschen und Künstler einfach zum gucken und connecten kommen. Denn normalerweise, so sagt er, ist das mit der Konkurrenz nicht immer so entspannt, im Mini-Berlin Italiens.
Solkì kommen aus der Toskana, haben also an Anreise und Abreise insgesamt gut vier Stunden durch Italien vorzuweisen. Das

Sheer Mag in Ravennas Konzert-Strandbar

Wenn du in den Sommermonaten in Bologna vorbeischaust, könnte es dich stressen, einzukehren. Bei 39 Grad machen Club-Konzerte einfach selten Bock. Zum Glück kannst du es eigentlich nicht schaffen, einen Abend zu erwischen, an dem im Uni-Viertel nicht auch Outdoor und ohne bezahlen was geht. Denn das ist das große Ding in Italien: Gratis auf Konzerte gehen. Dario, als Veranstalter, ist sich nicht so ganz sicher, warum so viele noch nicht mal 10 Euro für ein Konzert lassen wollen. Oder ob das nur ein Gerücht unter VeranstalterInnen ist. Bei seinem Festival hat er in diesem Jahr das erste Mal Tickets kaufen lassen – und es lief noch besser als im Jahr zuvor. Wenn du trotzdem gern die Flucht vor Hitze und Bezahlschranken antreten möchtest, fahr nach Ravenna. Der „Marina di Ravenna“ ist für mich nicht nur der entspannteste Strand des Nordens, sondern auch ein kleines Lokal mit gleichem Namen. Hier fliegen zum Beispiel Ende Juli einfach mal die großartigen Rrrriot-Pop-SchreierInnen von Sheer Mag aus Philadelphia vorbei und spielen dir unter den Sternen am Strand ein Konzert. Schön, oder?

Deine Lieblingsband vor 10 Leuten sehen

Hübscher wird es in Emilia-Romana vielleicht gerade so noch im Magazzino Parallelo in Cesena . Ich bin mit Freunden hierher, um die britischen Caves zu sehen. Roadtrip zu fünft in kleiner Karre, mit erwärmten Bieren und selbstgebrannten CDs auf dem Rücksitz. Ich hatte einen kleinen, stickigen Club erwartet. So sah das auf Bildern aus. Stattdessen ist das Magazzino Parallelo eine kleines Kommunen-Paradies.

Caves im Magazzino Parallelo, Cesena

Caves im Magazzino Parallelo, Cesena

Du trittst ein, nachdem du an einem selbstgebastelten Glücksrad gedreht hast und findest dich in einem Innenhof voll selbstangebautem Honig, 2nd-Hand-Ständern und rumrasenden Kids wieder. Dazwischen hocken PunkerInnen und warten auf den Konzert-Beginn. In unserem Fall waren das leider irgendwie weniger, als ich gedacht hätte. Denn während rund um die Bars und Buden im Innenhof so etwa 60 Leute chillten, haben sich nur etwa 10 den Eintritt zum Headliner gegönnt. Und das obwohl die drei von den Caves sich natürlich mal wieder mit Gitarren-Linien und Melodien wie sie Erica Freas (RVIVR) kaum besser schreiben könnte, in unsere Hirne gebrannt haben. Barfuß-Basser mit fliegendem Haar inklusive. Schade, aber auch mal schön, deine Lieblingsbands für dich zu haben.

Umbrien: gar nicht so kacke, wie du vielleicht glaubst

Wie es sich für PunkerInnen gehört, sollte dein nächste Reise-Stopp an einem unbeliebten Ort sein. Umbrien. Warum das unbeliebt ist? Es gibt hier keine Küste, nicht mal eine Grenze zu einem anderen Land. Alle Städte liegen auf dem Berg, damit die Römer sie nicht einnehmen konnten und damit du beim Besuch des historischen Zentrums noch mehr schwitzt, als ohnehin schon. Besonders weit oben und besonders einen Besuch wert ist Perugia. Die Hauptstadt Umbriens ist bekannt für den Mord an der Studentin Meredith Kercher und einem Jazz-Festival, bei dem sich dieses Jahr auch mal Kraftwerk die Ehre gaben. Das kannst du von mir aus aber ruhig meiden, falls du auch keinen Jazz magst. Geil ist die Stadt zuallererst wegen des T-Trane-Record-Stores.
Ich hatte erwähnt, dass das hier kein ausgewogener Bericht ist? Richtig, die Leute da sind vor allem saunett. Wenn

Fanzine: Umbria Noise

Fanzine: Umbria Noise

du keine Ahnung hast, wo du hinsollst, dann geh als erstes hier hin. Nicht nur, dass du in dem seit 20 Jahren bestehenden Laden Platten-Raritäten von Hot Water Music bis Sascha Schmitz auf Maxi CD (I feeeeel loooonneeelyy) finden kannst, du darfst mitten im Laden mit Bier und Wein herumwanken. Du greifst dir dann am besten das immer gratis ausliegende in schwarz-weiß gedruckte Umbria Noise. Such dir den Weg heim und studier das Fanzine aus Perugia beim Frühstück am Morgen danach. Hier finden sich alle wichtigen Konzerte der Umgebung. Old-School und übersichtlich. Verstehste ganz ohne Italienisch-Kurs.
„Wenn du willst, dass deine Stadt schön ist, dann musst du das eben selbst machen.“
Wahrscheinlich wird dir der Termin-Kalender sagen, dass du am nächsten Tag wieder zurück musst, in den T-Trane Record Store. Denn auch Konzerte machen sie hier, mitten im Laden. „Wenn du willst, dass deine Stadt schön ist, dann musst du das eben selbst machen“, philosophiert Booker Filippo Vagni eines Abends im Zentrum der Stadt. Und das machen sie hier. Sei es im Laden, oder auch mal im elterlichen Garten mit professionellem Line-Up und Zugang zum Pool. „Mir selbst hat zuletzt vor allem das Konzert von Jaye Bartell im T-Trane gefallen“, sagt Kollege Leon Benz. „Nicht nur wegen der Musik, auch weil der Typ einfach so nett war. Es gibt hier keine Grenzen, was die Genres betrifft. Wir haben auch bei Punk keine Angst, dass die Platten kaputtgehen. Aber manchmal finde ich die Atmosphäre einfach entspannter, wenn es ein akustisches Konzert unter der Woche ist. Das ist perfekt. Fast romantisch.“

autunno., Futbolìn, Saccarin, SON – italienischer Emo steht den Großen in nix nach

Reverend Beatman im T-Trane-Record-Store

Reverend Beatman im T-Trane-Record-Store

Vielleicht bin ich nicht romantisch genug veranlagt, mir selbst hat auf jeden Fall besser der schön verschrobene Ein-Mann-Band-Auftritt vom Schweizer Reverend Beatman im Laden gefallen. Dicht gedrängt standen wir nur einen halben Meter von seinem Schlagzeug entfernt und konnten beobachten, wie der Typ mit der Loop-Maschine sich selbst verdoppelt, verdreifacht und am Ende klingt, wie eine volle Beat-Punk-Kapelle. Stark natürlich auch die quasi Hauseigene Band von Mitarbeiter Filippo. Als Duo autunno. macht er mit einem Kumpel ausschweifenden Emo wie ihn Touche Amoré mit Blair Shehan (Knapsack) am Gesang nicht schöner liefern würden. Dieser Sound ist in Italien gerade ohnehin nicht unbeliebt. Wer weiterhören will, dem seien Futbolìn, Saccarin, SON  oder die deutlich bekannteren und sehr starken Riviera ans Herz gelegt.
Im Sommer lassen sie dich trotz aller Romantik auch in Perugia nicht drinnen schwitzen. Wenige Meter hinter dem T-Trane Record Store gibt es einen öffentlichen Park mit mittelalterlichem, kleinem Auditorium. Hier wird’s weniger wild, aber experimentell. Zuletzt habe ich TAU gesehen. Berliner, die dich zu zweit im Hippiegewand in den Sonnenuntergang spielen. Entspannte Folklore. Auch schön.
Mehr Brennen tus es in der Künstler-Straße „Via del Viola“. Hier findest du das Freeride. Mindestens bis zur Sperrstunde kannst du dank des Ladens die Straße nicht passieren, ohne jede Menge Menschen mit Bieren in der Hand zu treffen, die ganz sicher wollen, dass du mittrinkst. Das einzige Festival, das ich mir in dem kleinen, schwitzigen Raum treppauf gegeben habe, war ein Hardcore-Festival. Das Ding hieß „Merenda Punk“, hat mir aber mit optimalem Sound und Bands wie If I Die Today aus der Nähe von Mailand eher die Erinnerungen an vergangene Zeiten auf Mad Ball Konzerten in Erinnerung gegrowlt. Für so einen kleinen Laden, wirklich ne starke Leistung.

Konzert-Tagesausflüge: Foligno und Castiglione del Lago

Wer feststellt, dass er nach einiger Zeit, schon alle netten Nasen in Perugia kennt, der hat zum einen wahrscheinlich Unrecht, kann sich aber zum anderen noch ein, zwei schöne Ausflüge in die Umgebung gönnen. Einen weiteren empfehlenswerten Plattenladen hat die Region mit dem Supersonic Record Store in Foligno. Die Nachbarstadt Perugias beherbergt auch einige kleine Uni-Ableger und wird deswegen erst nachts so richtig lebendig. Dann kannst du in den Supersonic gehen und dir neben gut sortierten, brandneuen, sauberen Platten auch wieder entspannte Live-Musik geben.
Inhaberin Iaria Possazini ist selbst gerade mal 22 und hat den Laden mit ihren Geschwistern übernommen. Sie gibt gern zu, dass sie sich ein wenig am T-Trane orientieren, hat aber ganz eigene Ansprüche. Als ich sie im Laden auf einen Kaffee getroffen habe, brachte sie spontan auf den Punkt, warum Vinyl ihr so viel bedeutet: „Es ist wichtig den Spirit der Musik zu erhalten. Und mit der Digitalen, komprimierten Musik geht das nicht. Ich will dass die Leute den Unterschied zwischen dieser und der Musik auf einer Platte verstehen.“ Nicht schlecht für unsere Generation Y, die sonst doch meint, mit Spotify alles erreicht zu haben. Ilaria hat mich am selben Abend spontan eingeladen, doch mit ihr in den zum Record-Store gehörenden Club zu fahren. Hier kannst du leider nicht anders, als zu tief ins Glas schauen. Der Laden platzt genau dann aus allen Nähten, wenn eine schlechte Cover-Band italienische Classics spielt. Na, ist auch ne Erfahrung.

Runter, vom DJ-Pult!

The Ghost Wolves im Darsena

The Ghost Wolves im Darsena

Dringender meiden solltest du den DJ im Darsena Live Music Club in Castiglione del Lago. Der Ort ist deine Möglichkeit, in Umbrien doch noch baden zu gehen und am Abend ein Konzert zu genießen. Er liegt nämlich direkt am größten Badegewässer Umbriens: dem Largo Trasimeno. Und dementsprechend entspannt ist es hier auch. Die Bar ist nach draußen geöffnet und du kannst dich mit Cocktails in Strandfeeling versetzen lassen. Dazu gab es in meinem Fall dann The Ghost Wolves aus Texas auf die Ohren. Krachendes Duo, das auch mit nur einer Seite (!) auf der Gitarre noch krassere Sachen raushaut, als so mancher mit Edel-Gitarre. Das Booking hier stimmt also auf jeden Fall: Viele internationale Bands kommen auf einen Abend in Beachbar-Atmosphäre vorbei.
Nur danach lief es eben nicht mehr so rund. Der DJ fand es eine gute Idee, dass er jetzt Charts spielen könnte. Die Dorfjugend aus Castiglione del Lago wankte auf die Tanzfläche. Ich fand es eine gute Idee, ihm Riot-Grrrl-Punk vorzuschlagen. In dem Moment, wo ich das DJ-Pult betrete, geht leider die Mukke aus. Hey, ich hab wirklich nix angerührt! Schon gar nicht seine Spotify-Liste, die grad lief… Macht ihm nix. Der Typ schubst mich einfach unsanft zurück auf die Tanzfläche. Na gut, manchmal musst du eben diesen Sommer auch in Italien Despacitos ertragen.