Interview mit Millencolin 2005

Millencolin 2005

Etwas übermüdet wirkt Millencolin-Sänger Nikola Sarcevic. Im Tourbus gibt er reihenweise Interviews, mit der Band war er schon in Düsseldorf zur TV-Aufzeichnung.

Trotzdem plaudert er locker über seine Vorbilder von Bad Religion, seinen Wunsch, mal mit Madonna zusammenzuarbeiten und letztlich über das schwedische Golf-Modell von Erik und Larzon.

GETADDICTED: Als Ihr angefangen habt, Musik zu machen, habt Ihr erst ein paar Songs gecovert, da ihr noch keine eigenen Stücke hattet. Kannst Du Dich noch erinnern, welcher der erste davon war?
NIKOLA: Na klar! Das war „Heaven is falling” von Bad Religion. Den haben wir die ganze erste Probe lang gespielt. Beim zweiten Mal haben wir dann aber schon unseren ersten eigenen Song geschrieben. Das war übrigens „Pain“, aber es stimmt schon, dass wir am Anfang viel gecovert haben. Aber wir waren nie und wollten nie eine Coverband sein, wir konnten nur noch nichts anderes (lacht).
GETADDICTED: Ich finde es interessant, dass die meisten Punkrock-Bands Eurer „Generation“ – wenn ich das mal so sagen darf – als allergrößten und ersten Einfluss Bad Religion nennen, obwohl es doch noch so viele andere Bands gibt.
NIKOLA: Bad Religion ist eine großartige Band. Also bei uns waren es in erster Linie Bad Religion, NOFX, Pennywise, Rancid, Operation Ivy und Descendents, die uns beeinflusst haben. Aber Bad Religion haben einfach die großartigsten Melodien, wahnsinnig gute Songs, super Texte, dazu ist Greg Graffin einer meiner absoluten Lieblings-Sänger. Und ich denke, ich spreche da nicht nur für mich, sondern für die ganze Band.
GETADDICTED: Vergleichen wir mal: Ihr spielt heute vor 4000 Leuten, Bad Religion haben zuletzt in Essen nur 2000 angezogen. Was weckt das für ein Gefühl?
NIKOLA: Ehrlich? Das verstehe ich ehrlich gesagt nicht. Bad Religion sind für mich immer noch genau so cool wie 1992, als wir angefangen haben. Ihr aktuelles Album ist wieder einmal hervorragend. Deshalb kann ich mir das wirklich nicht erklären. Bad Religion sind auch heute noch ein riesengroßer Einfluss auf uns. Auf unserem neuen Album „Kingwood“ sind immer noch zwei, drei Songs, die sehr stark von ihnen beeinflusst sind.. 
GETADDICTED: Du hast ja letztes Jahr ein Solo-Album herausgebracht. Was hat sich dadurch in Bezug auf die Arbeit mit Millencolin geändert?
NIKOLA: Eine Menge! Ich habe durch das Soloalbum eine Menge Erfahrungen gesammelt, durch die Arbeit mit anderen Leuten, Songs aufzunehmen mit völlig anderen Menschen, einfach mal was anderes machen. Das war eine sehr befriedigende Angelegenheit für mich nachdem ich zwölf Jahre lang mit immer den gleichen Leuten Songs geschrieben und aufgenommen habe. Da war es für mich sehr erfrischend, mal etwas anderes gemacht zu haben. Ich glaube, dass es auch wichtig ist, zwischendurch mal etwas Abwechslung zu suchen. Dadurch bekommt man auch einen ganz anderen Blick, eine bessere Perspektive auf alles, was man so macht. Dadurch macht es mir jetzt auch mehr Spaß, ein Teil von Millencolin zu sein, als es das vor dem Soloalbum war.
 
GETADDICTED: Ihr seid ja jetzt schon lange dabei und habt einige Erfahrung gesammelt. Was gibt es für Negativ-Erlebnisse, in die man als junge Band reinschlittert, über die Ihr heute den Kopf schüttelt?
NIKOLA: Also als erstes muss ich sagen, dass ich nichts bereue von dem, was wir gemacht haben. Absolut gar nichts! Aber natürlich ist am Anfang alles total aufregend, du machst lauter Sachen zum ersten Mal in deinem Leben und das macht auch höllisch Spaß. Wenn ich mich heute so umblicke, ist es natürlich mit den Jahren zum Beispiel komfortabler geworden, wenn wir auf Tour gehen (blickt von einem fett gepolsterten Ledersitz durch den doppelstöckigen Tourbus mit Schlafkabine und Klimaanlage), das ist doch etwas angenehmer als ein alter, stinkender Bulli. Ansonsten war es damals natürlich für uns das Größte, als wir unseren ersten Plattenvertrag in der Tasche hatten. Das ist es, glaube ich, für jede Band. Und genau so hat wahrscheinlich auch jede Band nicht wirklich Ahnung von dem, was in dem Vertrag steht oder was für den Künstler ein guter Vertrag ist. Man ist einfach glücklich, dass man einen hat. Fünf Jahre später merkt man dann oft, dass der Vertrag vielleicht doch nicht ganz so toll war. Ich will damit nicht sagen, dass wir einen schlechten Vertrag hatten am Anfang, aber er ist jetzt viel besser!
GETADDICTED: Vermisst Du gewisse Dinge aus den Anfangstagen, die Ihr jetzt nicht mehr so habt?
NIKOLA: Nicht wirklich. Jede Phase hat ihre Vor- und Nachteile. Ich persönlich war in der ersten Zeit sehr, nennen wir es mal verwirrt. Das vermisse ich natürlich nicht. Wir hatten natürlich eine Menge Spaß damals! Haben wir heute auch noch! Wahrscheinlich sogar noch mehr als damals. Wir waren zum Beispiel gerade in Düsseldorf für eine Fernsehaufnahme. Auf dem Rückweg sind wir hier hergekommen und haben die Leute fotografiert. Du musst mal sehen, wie die Fans gucken, wenn sie plötzlich von der Band fotografiert werden.
GETADDICTED: Ansonsten seid Ihr ja nicht wirklich oft im Fernsehen.
NIKOLA: Das stimmt. Irgendwie haben die Fernsehkanäle kein Interesse an uns. Sollten sie vielleicht. Aber wir sind zum Glück darauf nicht angewiesen. Ich meine, schau’ Dich mal um: Hier rennen 4000 Leute herum, wir haben eine starke Fanbase – ob mit oder ohne Fernsehen.
GETADDICTED: Würdest Du lieber in den USA leben und dann mal bei einer TV-Show wie Jay Leno aufzutreten? Da sind ja öfter mal Punkrock-Bands im Studio.
NIKOLA: Ist die Frage, ob ich in den Staaten leben will oder ob ich in so einer Show auftreten möchte? Das erste nein, das zweite ja! Es gibt ja eine schwedische Bands, die schon in amerikanischen TV-Shows aufgetreten sind wie die Cardigans, The Hives oder Soundtrack Of Our Lives. Es wäre natürlich großartig, mal bei so einer Show zu spielen, weil es einfach eine coole Erfahrung ist. Und es ist natürlich auch eine sehr gute Chance, neue Leute zu erreichen.
 
GETADDICTED: Erik hat mal gesagt, Tim Armstrong (Rancid) wäre der beste Songwriter der Welt.
NIKOLA: Absolutely amazing!!!
GETADDICTED: Er hat ja einige Songs mit Pink zusammen für ihr letztes Album aufgenommen. Hättet Ihr auch mal Interesse an so einer Zusammenarbeit?
NIKOLA: Klar! Ich meine, es ist das, was am meisten Spaß macht – generell! Songs schreiben, der ganze kreative Kram an der Musik. Und da wäre es natürlich mal interessant und mit Sicherheit eine sehr coole Erfahrung, das mit einem Popstar oder so zusammen zu machen. Natürlich gilt das nur für einen Popstar, vor dem ich auch Respekt habe!
GETADDICTED: Mit wem am liebsten?
NIKOLA: Madonna wäre glaube ich ganz cool!
GETADDICTED: Gibt’s eigentlich schon Millencolin-Songs als Klingeltöne? Im heutigen Klingeltonfernsehen habe ich noch keinen gesehen.
NIKOLA: Kein Witz! Bei unserem Plattenlabel Burning Heart ist das im Moment wirklich heiß im Gespräch! Ich glaube, da ist auch schon einiges im Entstehungsprozess. Allerdings weiß ich nicht genau, wie weit das fortgeschritten ist.
GETADDICTED: Wie wäre es für Dich, wenn irgendwo ein Handy mit einem Millencolin-Song klingelt?
NIKOLA: So ist es heutzutage nun mal in dieser modernen Gesellschaft mit all’ den Handys. Ich habe da im Prinzip nichts gegen.
 
GETADDICTED: Ihr seid ja mit und bei Burning Heart groß geworden. Als sie einen Kopierschutz auf die Platten machen wollten, habt Ihr Euch vehement dagegen ausgesprochen und durchgesetzt. Was waren die Gründe dafür?
NIKOLA: Es hätte doch eh keinen echten Effekt gehabt. Aber es ist natürlich ein Problem für das Label, das ja die Platten verkaufen will. Für einen Künstler oder eine Band ist das natürlich noch etwas anderes: Man hat Konzerte und andere Möglichkeiten, Geld einzunehmen. Und je mehr Leute Deine Musik in die Finger kriegen, desto mehr Leute kommen auch zu den Konzerten. Auf der anderen Seite sollten die Künstler auch die Möglichkeit haben, Geld zu verdienen mit den Produkten, die sie herstellen. Ich akzeptiere einfach so die Situation, so komplex wie sie ist. Es war ja auch so eine Sache mit den Klamotten. Wir haben irgendwann Leute gesehen, die hatten Millencolin-Shirts an, die waren nicht von uns lizensiert. Wir haben gedacht, „Hey, das ist ein illegaler Bootleg“! Dann haben wir in Italien gespielt und da gibt’s ja fast nur Bootlegger! Da kannte ich jedes zweite Millencolin-Shirt nicht! Ich weiß nicht genau, wie das mit den Urheberrechten in Italien ist, wie präzise die sind oder ob sich da einfach keiner drum kümmert. Aber das muss man einfach akzeptieren, weil man sowieso nichts dagegen ausrichten kann. Das wäre verschwendete Zeit.
 
GETADDICTED: Ich habe gelesen, dass einige von Euch Golf spielen. Ich dachte immer, man spielt Golf, wenn man keinen Sex mehr hat.
NIKOLA: Ich spiele kein Golf! Da sind hauptsächlich Larzon und Erik! Also Erik hat eine neue Freundin, da glaube ich das nicht. Aber ansonsten könnte das schon sein (lacht). Ich weiß schon was du meinst, aber in Schweden ist das alles ein bisschen anders. Vor 15 Jahren war Golf vielleicht die Sportart der fetten Business-Typen. Heute spielen in Schweden superviele Leute Golf, auch schon viele Kinder. Larzon hat zum Beispiel auch schon mit zehn Jahren angefangen zu golfen! Es macht auch sehr viel Spaß und ist eine sehr soziale Angelegenheit, du bist an der frischen Luft, hängst zusammen ab, das ist cool!
GETADDICTED: Gehört Golf also auch zum als sehr sozial angesehenen Skandinavischen Modell?
NIKOLA: Ich weiß nicht. Schweden hatte mal ein sehr gutes System, aber das ist auch stark auf dem Rückzug. Seit wir der Europäischen Union beigetreten sind, sind doch viele Sachen an unserem Wohlfahrtssystem verändert worden, unglücklicherweise nicht zum Guten. Ich denke, dass dadurch der Einfluss der reinen Marktkräfte, der wirtschaftliche, kapitalistische Einfluss sehr viel stärker geworden ist. Ich bin kein Gegner der Europäischen Union, sie hat auch sehr viele gute Seiten. Aber es wäre eine Gemeinschaft wichtiger, in der auch die Staaten aus der Dritten Welt, vom ganzen Planeten eingebunden wären, als eine Mauer um Europa zu bauen und als starke wirtschaftliche Macht zu etablieren. Ich halte nicht viel davon, Mauern um etwas zu bauen und sich abzugrenzen.