Interview mit Taking Back Sunday 2005

Drummer Marc legt drei Zigaretten auf den Tisch, zündet sich die vierte an – und wir beginnen mit dem Interview. Als Gitarrist Eddie nachher mit Markus ein zweites führt, freut er sich tierisch über drei Kippen für ihn.

GETADDICTED: Warum sollte jemand ein Taking Back Sunday-Interview lesen?
Marc: Also ich selber lese gerne Interviews über Leute oder Bands, die mich interessieren. Also Leute: Wenn wir Euch interessieren, dann solltet ihr weiter lesen. Wenn Ihr ein bisschen was über uns erfahren wollt, dann solltet ihr auch weiter lesen.
GETADDICTED: Was gibt’s denn neues von Taking Back Sunday zu erzählen, was alle Leute wissen sollten?
Marc: Eigentlich gibt es keine wirklich interessanten Neuigkeiten.
GETADDICTED: Ach komm, irgendetwas wird doch in den letzten Tagen oder Wochen passiert sein.
Marc: Meine Eltern sind zu unserem Konzert nach London gekommen und wir haben uns ziemlich vollgesoffen zusammen nach der Show. Das ist wirklich das Interessanteste. Bei uns passieren im Moment eher nur gewöhnliche Sachen. Wir spielen in vielen verschiedenen Clubs, was zwar auch immer interessant ist, aber eben nur so an sich…Schwer zu beschreiben.
(Taking Back Sunday haben bei Warner unterschrieben, was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, und was Marc wohl offensichtlich nicht erzählen wollte)
 GETADDICTED: Was vermisst Du, wenn ihr auf Tour seid oder worauf freust Du Dich am meisten, wenn’s wieder nach Hause geht?
Marc: Ich freu mich natürlich, meine Freundin wiederzusehen. Aber auch mal wieder entspannt mit meinen Freunden abzuhängen, abends mit der Band in Ruhe zu treffen. Fred zum Beispiel ist gerade umgezogen mit seiner Frau und seinen Kindern, und da werden wir natürlich erst mal eine fette Einweihungsparty machen, wenn wir wieder zu Hause sind.
GETADDICTED: Zwischen Euren beiden Alben lag ja eine recht lange Zeit aus mittlerweile bekannten Gründen, über die ihr mit Sicherheit schon oft ausgefragt wurdet.
(Marc verzieht das Gesicht und reagiert erleichtert, als ich ihm diese Frage erspare) Was können wir denn nun von Eurem dritten Album erwarten und wann können wir damit rechnen?
Marc: Ich habe nicht die geringste Ahnung. Wir wissen es ja selber noch nicht. We just wanna keep on rocking! Einfach eine Rockscheibe schreiben. Wir streben jetzt nicht irgendetwas spezielles, besonderes an. Was ich weiß bis jetzt, ist, dass wir einen Song zum Fantastic Four-Soundtrack gemacht haben. Aus dem guten alten Comicbook wird jetzt ein Kinofilm gemacht. Das wird wohl eine ziemlich große Sache.
GETADDICTED: Wie klingt der Song?
Marc: Hart! Das ist definitiv einer unserer härtesten Songs.
GETADDICTED: Wie sieht bei Euch der Songwriting-Prozess aus?
Marc: Irgendwer kommt mit einer Idee, und dann geht’s los: Was meinst Du, was wir daraus machen können, was meint wer anders? Wer hat eine Idee für den nächsten Part. Fünf Leute sitzen dann da am Brainstormen, jeder überlegt, was er beisteuern könnte. Das ist dann zwar schon demokratisch, aber irgendwie…na ja…natürlich kämpft da schon jeder erbittert um seine Variante. Das ist manchmal in fünf Minuten alles geregelt und der Song steht, manchmal dauert es länger als einen Monat.
GETADDICTED: Habt ihr schon mal was von Emocapella gehört?
Marc: Ja! Die sind mal bei einer Show von uns aufgetaucht. Als wir auf die Bühne gehen wollten, kamen sie an und haben einen Song halt auf ihre Art und Weise performed. Die Jungs sind schon cool!
GETADDICTED: Würdet ihr auch mit ihnen auch auf Tour gehen?
Marc: Oooooh! Uuuuh! Ich weiß nicht, ob wir direkt mit ihnen auf Tour gehen würden. Mal so ein paar Songs mit ihnen spielen wäre aber mit Sicherheit okay! Aber deine Frage wundert mich ein bisschen: Sind die hier so bekannt?
GETADDICTED: Ich habe nur mal ein kurzes Video gesehen, wie sie „Cute without the E“ singen.
Marc: Hey, das ist richtig cool, so was zu hören oder zu sehen. Die Jungs haben’s schon echt drauf. Vielleicht sollten wir die wirklich mal als Support nehmen. Aber wohl nicht unbedingt für eine ganze Tour.
GETADDICTED: Wenn Du Dir eine Band zusammen stellen dürftest, mit wem wolltest du mal zusammen spielen oder ein Album machen?
Marc: Oh, ich nehm…verdammt, das ist schwierig. Also James Hetfield auf jeden Fall an der Gitarre.
GETADDICTED: Auch Gesang oder nur Gitarre?
Marc: Um Himmels willen. Nur Gitarre! He has lost his voice! In meinen Augen zumindest. Musst Du ja nicht weitererzählen. Ian MacKaye sollte singen.
GETADDICTED: Wie bei Minor Threat oder wie bei Fugazi?
Marc (mit leuchtenden Augen): MINOR THREAT! Auf jeden Fall. Wen soll ich den jetzt als Bassisten nehmen? Ohmann (grübelt). Du suchst den Bassisten aus.
GETADDICTED: Matt Freeman?
Marc: Matt Freeman! YEAH! Rancid!!! Rancid, Minor Threat, Metallica! Das wäre eine geile Band! Richtig krank! Das wäre richtig Hardcore! Ich habe vor Taking Back Sunday in einer Hardcore-Band gespielt – Strongpoint. Und das war eine richtig böse Metal-Hardcore-Band. Aber mit den Jungs wären wir bestimmt richtig gut!
GETADDICTED: Wie kriegt ihr eigentlich Eure Popularität in Europa mit?
Marc: Als wir zum ersten Mal in Europa waren, da war das Astoria in London ausverkauft und da passen über 2000 Leute rein. Das war schon überwältigend. Da hatten wir nicht mit gerechnet. Als wir hierhinkamen, dachten wir, da kommt doch eh keiner. Da waren wir schon megahappy! Was uns gerade hier in Köln sehr gewundert hat, waren die vielen amerikanischen Kids. Es sind halt viele hier, die was mit amerikanischen Militärstützpunkten zu tun haben. Aber auch die deutschen Kids sind cool, die gehen immer gut ab!
GETADDICTED: Wie siehts aus mit Groupies hier? Da stehen schon einige vor der Tür.
Marc: Da kümmert sich bei uns eigentlich keiner von uns drum. Zwei von uns sind verheiratet, zwei haben sehr lange Beziehungen. Also Mädels, es tut mir leid, da müssen wir euch desillusionieren. (das alles sagt er in der Tat sehr überzeugt)
GETADDICTED: Wenigstens scheint ihr bei Europa nicht sofort an schlechtes Wetter zu denken.
Marc: Hehe, obwohl, als wir letztes Mal auf Europa-Tour waren, hat es wirklich geregnet, genau so ein Scheißwetter wie heute. Wenn ich jetzt nicht sonst den Raum hier vollqualmen würde, hätte ich auch das Fenster gar nicht aufgemacht. Als wir letztes Mal hier in Köln waren, da hatten wir allerdings saugeiles Wetter. Das war ein richtig schöner Tag.
GETADDICTED: Was ist dir so richtig wichtig?
Marc: Musik und meine Familie.
GETADDICTED: Worauf scheißt du so richtig?
Marc: Terroristen, also nein, die hasse ich! Und (mit an Verächtlichkeit kaum zu überbietender Stimme) mean people! Also Leute, die sich irgendwie Vorteile durch die Arbeit anderer Leute verschaffen – ungerechtfertigt. Solche Leute verabscheue ich! Es gibt immer Leute, die dich irgendwie ausnutzen wollen.

 „Wir quatschen noch ein bisschen über Minor Threat, Matt Freeman und warum TBS nicht mehr „Message in a bottle“ von The Police spielen und verlassen dabei den Raum. Eine halbe Stunde später freut sich Gitarrist Eddie tierisch, dass pünktlich zu seinem Interview mit Markus drei Zigaretten auf dem Tisch liegen. Eddie setzt sich hin, nimmt sich die Zigaretten und knickt den Filter ab.

GETADDICTED: Eddie. Ihr habt vor wenigen Tagen mit My Chemical Romance in London gespielt. Ich hatte gestern das Vergnügen, mit ihnen ein Interview zu führen. Gitarrist Frank plauderte mir aus, dass ihr bei Warner Music unterschrieben habt.
(Eddie schaut etwas verdutzt, kommt aber dann doch zu potte)
Eddie: Das stimmt. Wir haben letzten Monat einen neuen Vertrag bei Warner unterschrieben. Victory Records konnte mit uns nicht mehr arbeiten.
GETADDICTED: Willst du mir damit sagen, dass Victory kein Interesse mehr an euch hatte?
Eddie: Wir haben uns im beiderseitigen Einvernehmen entschieden, getrennte Wege zu gehen. Nach all den Jahren war es einfach Zeit sich zu trennen. Victory Records ist immer noch ein Independent Label und wir haben mit ihnen so viele Platten verkauft, wie es nur möglich war. Sie hatten einfach nicht mehr das Geld und die Ressourcen, uns in dieser Liga zu unterstützen. Deshalb haben sie uns zu einem Major ziehen lassen, da hier einfach andere Möglichkeiten an Kapazitäten vorhanden sind. Das war genau das, was wir letztendlich wollten.
GETADDICTED: War Warner das einzige Major-Label, was Interesse an euch an hatte?
Eddie: Natürlich waren etliche Labels an uns rangetreten. Bei Warner sahen wir halt Bands wie The Used und My Chemical Romance, die sehr zufrieden bei diesem Label sind. Warner unterstützt sehr, redet den Bands aber nicht rein. Die Bands behalten ihre kreativen Freiheiten und werden nicht kontrolliert. Warner war das einzige Label, das so arbeitet. Bei den anderen Angeboten war es doch erschreckend, wie sehr man kontrolliert werden sollte. Das hat uns nicht zugesprochen und so war es klar, dass Warner für uns als Band nur in Frage kam.
GETADDICTED: Habt ihr denn schon neues Material?
Eddie: Nein, bis jetzt haben wir noch nichts Neues. Erst nach dieser Tour werden wir uns wieder hinsetzen und an neuem Material arbeiten.
GETADDICTED: Was genau war denn der Grund dafür, dass die Konzerte in Berlin und München gecancelt wurden und somit diese hier in Köln die einzige Deutschlandshow ist.
Eddie: Ich weiß nicht genau, warum die Shows ausgefallen sind. Ich glaube dem Veranstalter waren die Vorverkaufszahlen der beiden Shows zu gering und in Berlin hätten wir am selben Tag wie My Chemical Romance gespielt. Da wir beide das selbe Publikum ansprechen, zog man uns wieder ab. Hier in Köln hat man den Vorteil, dass My Chemical Romance gestern schon spielten. Ich find’s schade.
GETADDICTED: Wenn man so ein Album wie „Tell All Your Friends“ veröffentlicht hat, was damals wirklich alles an die Wand presste, was auf dem Markt war, ist es da nicht besonders schwer ein neues Album zu veröffentlichen, das den gleichen Anspruch an Niveau besitzt wie das Debüt?
Eddie: (lacht ein wenig) Naja, ich finde schon, dass „Where You Want To Be“ besser geworden ist als „Tell All Your Friends“, das vor vielen Jahren geschrieben wurde. Man wächst mir der Zeit und das auch entsprechend als Musiker. Wir wollten den nächsten Schritt nach vorne und nicht noch einmal klingen wie auf dem Album zuvor. Ich halte es für extrem langweilig, wenn Musiker von Album zu Album die gleiche Musik schreiben. Man muss sich doch entwickeln. Für uns ist es wichtig, dass wir den Weg fortschreiten, den wir eingeschlagen haben. Wir haben sicherlich einige erschrocken, dass „Where You Want To Be“ doch sehr rockig klingt. Man kann davon ausgehen, dass das nächste Album vom Sound ein ausgereifter Mix aus beiden Alben sein wird.
GETADDICTED: Wie betrachtest du die Entwicklung im Emocore?
Eddie: Für mich ist Emo schon 1995-97 gestorben. Es sind die Labels, die diesen Begriff noch am Leben halten, um ihre Musik in dieser Form zu vermarkten. Wir zum Beispiel waren nie eine Emo-Band. Wir sind eine Punk/Hardcore-Band aus New York. Der Begriff Emocore ist auch falsch. Emo war von den Texten her sehr gefühlvoll geschrieben. Aber das findet man im Emocore zum Beispiel nicht. Betrachtet man es musikalisch, ist der Begriff Emocore die einfache Weiterentwicklung des New School Hardcore, die es geschafft hat solche eine Masse anzusprechen, dass jede Band, die sich so nennt, mittlerweile auf MTV läuft. Es gibt ja viele die es Post Hardcore nennen, was definitiv die Sache eher trifft als Emocore.
GETADDICTED: Wie empfindest du es, wenn Leute Taking Back Sunday als Vorreiter dieses Sounds deklarieren?
Eddie: Das ist sehr cool. Ich empfinde es als ein Kompliment. Naja, wenn uns die Leute Emo nennen, dann sollen sie es tun. Ich kann das ja eh nicht ändern.
GETADDICTED: Heute Abend spielen Fire In The Attic als Support für euch. Sie werden momentan sehr hoch gehandelt. Wenn man so will spielen sie nix anderes als zig hunderte Bands auch was sich, da sind wir wieder, Emocore nennt. Wie ist es, wenn man durch Europa tourt und in jeder Stadt spielt eine lokale Support Band, die immer nur nach Amerika schielt und eigentlich immer nur von den Großen kopiert. Kann man sich das sich als Amerikaner überhaupt noch antun?
Eddie: Es ist halt die Auswirkung des Einflusses, den amerikanische Bands auf Europa haben. Ich denke, dass es ganz natürlich ist. Punk und Hardcore startete halt bei uns in New York. Auch wenn es einige Leute gibt die meinen, dass die Sex Pistols den Punk erfunden haben. Das ist reinster Bullshit. Sex Pistols war eine Boyband, die zusammen gewürfelt wurde. Die waren doch niemals Punkrock. Der Ursprung all dieser Musik wie Punk, Hardcore oder auch Emo stammt aus Städten wie New York, DC oder Detroit. Das alles ging dann um die Welt und beeinflusste halt. Momentan ist es so, dass wir Amerikaner immer noch andere beeinflussen. Es kann durchaus sein, dass ich eines Tages hier sitzen werde und mich europäische Bands beeinflussen. Aber solange es so ist, dass wir, Taking Back Sunday, andere Musiker beeinflussen, finde ich es echt cool. So was sorgt dafür, dass die Musik nicht ausstirbt.
GETADDICTED: Aber eines Tages muss jede Band auch ihren eigenen Weg gehen.
Eddie: Yeah, das auf jeden Fall. Es passiert ja auch, dass die Bands ihren eigenen Stil entwickeln. Als ich damals anfing Musik zu machen, wollte ich auch wie klingen wie Bas Brains oder Minor Threat. Mit der Zeit jedoch entwickelt sich ein eigener Style. Dennoch, Einflüsse sind wichtig für jeden, der Musik macht und machen möchte. Es ist ein Fixpunkt, an dem man sich orientieren kann.
GETADDICTED: Kennst du eigentlich einige deutsche Bands?
Eddie: Ich kenn nur einige Death Metal Band aus Deutschland.
GETADDICTED: Zum Beispiel?
Eddie: Waren Kreator aus Deutschland?
GETADDICTED: Die sind aus Deutschland und es gibt sie immer noch. Gerade erst ist ein neues Album von ihnen erschienen.
Eddie: Destruction sind auch noch eine deutsche Band. Ja, genau. Destruction und Kreator waren die Bands, mit denen ich aufgewachsen bin.
GETADDICTED: Magst du die neue Band von eurem Ex-Kollegen?
Eddie: Wenn ich ehrlich bin, habe ich bis heute noch nichts von ihm gehört. Man sagte mir, dass es doch sehr „soft“ und unterschiedlich sein soll. Ich wünsche ihm halt viel Erfolg und nur das Beste, dass er mit dem was er macht glücklich ist. Es kam halt der Punkt an dem wir erfahren mussten, dass wir keine Freunde mehr sein können und haben uns schließlich getrennt.
GETADDICTED: Ist es überraschend, dass Straylight Run plötzlich so „soft“ wurde?
Eddie: Nein, das nicht. Er wollte damals schon immer was softer werden, was wir aber nicht wollten. Deshalb ist er auch nicht mehr dabei. Reisende soll man nicht aufhalten und wenn er sein Ding durchziehen möchte….bitte schön.
 
(Jens Becker/Markus Tils)