Interview mit City Light Thief 2012

Eine Woche lang haben sich City Light Thief ins entlegene Niederehe verzogen, um ihre EP „The Music Of Chance“ aufzunehmen – auf der Grundlade des gleichnamigen Romans von Paul Auster.

Im Interview erzählen Sänger Benjamin Mirtschin und Gitarrist Tobias Schmidt über die Schwierigkeiten bei der Aufnahme an sich, über ihre überaus gelungene Crowdfunding-Aktion zur Finanzierung einer Vinyl-10-Inch und erklären, wieso es ein Erfolg an sich ist, dass sie bei der Veröffentlichung nicht draufzahlen müssen.

City Light Thief in Köln 2011, Foto: Jens Becker

City Light Thief in Köln 2011, Foto: Jens Becker

GETADDICTED: „Music Of Chance“ – wer hat’s als erster von euch gelesen?
Benjamin: Ich. Bäm! Und zwar vor anderthalb Jahren – in einem Auster-Fieber: Ich hab erst ein Buch von Auster gelesen und danach acht weitere am Stück.
Tobias: Ich hab’s mittlerweile auch gelesen, Bringo auch, wir haben auch alle zusammen dann den Film geguckt, als wir die EP aufgenommen haben.
Benjamin: Es weiß auf jeden Fall jeder, worum es geht.
GETADDICTED: Wann und wie kam die Idee, dieses Buch als Grundlage für eine EP zu nehmen?
Benjamin: Wir konnten in der ersten Januar-Woche umsonst eine Woche in so ein Haus in der Eifel, das meiner Tante und meinem Onkel gehört. Wir haben da früher schonmal geprobt und wollten jetzt eben eine Woche aufnehmen. In der Zeit schafft man kein Album. Aber nur um ein Demo aufzunehmen, wäre uns die Zeit auch zu schade gewesen.
Tobias: Wir hatten dann eine sehr lange Diskussion, weil ich eigentlich total gegen eine EP war. Bands hauen oft zwischen zwei Alben nur eben kurz eine EP raus, weil sie Aufmerksamkeit wollen. Ich höre mir selbst von Bands immer nur die Alben an, und nur wenn ich die dann richtig gut finde, dann höre ich auch mal in die EP rein. Aber nach langen Diskussionen finde ich es jetzt auch selbst gut. Aber: Keine Platte ohne Streit.
Benjamin: Irgendwie kam dann auch die Idee mit dem Buch. So hat man einen abgesteckten Zeitraum und ein abgestecktes Thema. Und im Nachhinein war es auch super.
GETADDICTED: Wie habt ihr die Textstellen ausgewählt?
Benjamin: Wir haben bei den Texten viel zusammen gearbeitet. Ich hab die ersten ausgewählt, um zu zeigen, was ich mir dabei gedacht hab. Den Rest haben Tobi, Bringo und ich zusammen gemacht. Wir haben im Grunde versucht, die Grundzüge des Buches zu erzählen. Bei vier Liedern kannst du ja gar nicht Nebenhandlungsstränge unterbringen.
Tobias: Wir haben überlegt: Welcher Teil des Buches passt auf welchen Song – das war ja auch nicht beliebig ausgewählt. Wo im Buch dann ein neuer Abschnitt anfängt, da fängt bei uns ein neuer Song an.
Benjamin: Die Musik stand halt vorher schon zu 90 Prozent. Deswegen versuch ich auch, das nicht unbedingt „Konzept“ zu nennen. Die Songs erzählen zwar eine zusammenhängende Geschichte, aber das ist eben auch ein bisschen Zufall.
Tobias: Music of chance eben.
Benjamin: Wir haben nicht die Musik passend auf den Text geschrieben. Man sieht ja an Metallica und Lou Reed, was dann passiert. Da hat das ja richtig geil funktioniert.
GETADDICTED: Hör ich da leichte Ironie?
Benjamin: Nein, nein. Sonst könnte ich ja wieder drei Jahre nicht mit Kirk Hammett reden (lacht).Nein ehrlich: Ich finde die furchtbar. Ich mach immer ein Spiel mit mir selber – wie lange schaffe ich trotzdem, mir das anzuhören. Das ist echt richtig übel.
GETADDICTED: Darf ich das zitieren?
Benjamin: Ja, das ist meine ehrliche Meinung.

„Wir haben mehr überflüssige Parts gemacht.“

GETADDICTED: Die Geschichte des Buches kann man ja auch in Teilen als „Parabel“ auf ein Band-Leben verstehen. War das auch euer Hintergedanke, dass ihr euch darin direkt wiederfindet?
Benjamin: Beat-Literatur hat ja immer dieses On-The-Run-Feeling, genau wie bei Kerouac. Das hat einfach gut gepasst. Ich hab nicht das Buch gelesen und direkt gedacht: Lass uns darüber Songs machen. Es kam halt einfach irgendwann wieder, weil diese Art von Geschichte im Zusammenhang mit uns einfach total gut funktioniert – auch sprachlich: Im Original-Text sind total viele Vokabeln, die wir in Texten schonmal benutzt haben oder die auch in unseren Kosmos passen. Dieses Spielen mit der Feuer-Metapher ist im Buch zum Beispiel auch ein zentrales Thema – weil er halt Feuerwehrmann, bevor er sein Leben über den Haufen geworfen hat. Oder „humming bodies“ – sowas in der Art hatten wir eben auch schon. Das sind Kleinigkeiten, aber das gab es ganz oft.

City Light Thief in Köln 2011, Foto: Jens Becker

City Light Thief in Köln 2011, Foto: Jens Becker

GETADDICTED: Wo sind für euch die größten musikalischen Veränderungen zu „Laviin“?
Tobias: Was mir andere Leute gesagt haben, dass die Platte aufgeräumter klingt. Bei „Laviin“ haben wir total wert auf Komprimierung gelegt – zehn Songs in 36 Minuten. Da ist kein Teil in den Songs, der irgendwie überflüssig ist oder sich ausspielt. Bei der EP haben wir da gar nicht drauf geachtet.
Benjamin: Wir haben viel mehr überflüssige Parts gemacht.
Tobias: Überflüssig nicht, aber verspielter. Da funktionieren zum Beispiel mal längere Parts ohne Gesang – das gab es auf dem Album nicht.
Benjamin: Für mich hat es auch die härtesten Momente. Und die sanftesten. Und wir haben den Songs einfach mal Raum gegeben.
GETADDICTED: (lacht)
Benjamin: Ja, mann. Das hört sich jetzt wie eine blöde Floskel an. Aber wir haben bei manchen Parts eben nicht wieder gesagt: Lass uns den mal um die Hälfte kürzen, sondern für die Stimmung einfach mal laufen lassen.
GETADDICTED: Trotzdem wirkt die EP in sich schlüssiger. Dagegen war „Laviin“ mehr einzelne, nebeneinander stehende Songs.
Benjamin: Ich finde aber auch, dann hat man genug gehört, weil das ganz schön viel ist, was da passiert – für 20 Minuten.
 

Kein dickes Fell um vier Uhr nachts

GETADDICTED: Ihr habt in Niederehe aufgenommen. Das ist schon richtig Arsch der Welt oder?
Tobias: Also, es geht noch arschiger,
Benjamin: Vor drei Jahren musste man noch eine Dreiviertelstunde bis zum nächsten Supermarkt fahren. Es ist dann auf jeden Fall so „Arsch der Welt“, dass es vollkommen egal ist, ob du bis fünf Uhr nachts Schlagzeug aufnimmst. Was wir dann auch gemacht haben.
GETADDICTED: Bei den Aufnahmen zu „Laviin“ ging es ja ziemlich derbe zu. Jetzt habt ihr weitab der Zivilisation in der Einöde aufeinander gehockt – seid ihr euch wieder an die Kehle gegangen?
Benjamin: In den ersten zwei Tagen, ja. (lacht). Wir hatten ja einen super-engen Zeitplan. Aufnehmen dauert halt ultralange. In sechs Tagen vier Songs aufnehmen, ist für eine Band wie uns ultraschnell, wenn man an humane Arbeitszeiten denkt.
Tobias: Die es bei uns nicht gab.
Benjamin: Und der Zeitplan ist in den ersten zwei Tagen so durcheinander gekommen, dass die Luft ziemlich dick war. Ab dem dritten Tag war dann alles gut.
Tobias: Wir haben ja nicht in einem Studio aufgenommen, sondern in Räumen, die nicht dafür gebaut sind. Wir mussten dann auch erstmal die Räume finden, in denen das geht. Wenn du mit einem Schlagzeug mit kompletter Mikrofonie durch ein Haus rennst, dann dauert das halt auch einfach und kostet unglaublich Nerven. Aber du willst dann an dem Tag das Schlagzeug auch noch zu Ende aufnehmen.
Benjamin: Und um vier Uhr nachts liegen dann alle Augenlider auf dem Tisch – das ist dann keine Arbeits-Atmosphäre, in der man besonders dickes Fell hätte und tolerant ist. Und dann ist es schnell vorbei bei uns.
Tobias: Aber hinterher muss man sagen: Wir hatten noch nie eine so produktive Arbeits-Atmosphäre – auch weil man nicht die krassen  Ablenkungen hat wie in Köln. Man muss sich damit beschäftigen, hat aber trotzdem im Haus mal die Möglichkeit, sich zurückzuziehen.
Benjamin: Aber es war schon zwölf Stunden Arbeit am Tag. Für Basto (Bastian Hartmann, Produzent) war es echt am härtesten. Der hat locker 15 Stunden am Tag am Rechner gesessen.

City Light Thief in Köln 2011, Foto: Jens Becker

City Light Thief in Köln 2011, Foto: Jens Becker

GETADDICTED: Dann habt ihr euch euren Traum erfüllt. Das Königsformat – 10′.
Benjamin: Das hat ja irgendwer falsch gelesen und dann geschrieben: „Sie veröffentlichen ihre EP im königsblauen Vinyl“.
GETADDICTED: Was an dieser Crowdfunding-Aktion hat euch am meisten überrascht – vielleicht außer, dass es so schnell ging.
Benjamin: Dass es überhaupt so funktioniert hat! Das Veröffentlichungs-Datum stand – und wir hatten genau fünf Wochen Zeit. Wir dachten, das wird echt krass knapp. Und nach 46 Stunden war es dann erreicht.
Tobias: Wir hatten am ersten Tag schon 800 Euro zusammen. Ich wollte schon im Geld baden gehen.
GETADDICTED: Welche Pakete sind eigentlich weggegangen?
Benjamin: Zwei von drei Wohnzimmerkonzerten sind gekauft worden und eins von den drei Essen.
Tobias: Zwei, meine Eltern auch noch!
Benjamin: Geil! Dann müssen wir für Tobis und für Bringos Eltern kochen.
GETADDICTED: Wer hat die Konzerte gekauft? Oder ist das ultra-geheim?
Benjamin: Eins ist wirklich ultrageheim. Das andere hat das Berufsbildungszentrum Grevenbroich gekauft – die machen eine Medienwoche, und da passen wir dann irgendwie rein. Ist mal eine coole Idee von einem Lehrer.

GETADDICTED: Welche 10′ ist für euch am bedeutsamsten?
Benjamin: Das ist total leicht. „The Alchemy Index“ von Thrice auf vier 10-Inches. Davon gibt es 3.000 Stück.
Tobias: Und Benni hat 1.000 Stück. Meine ist definitiv die Split von Touché Amore und La Dispute.
Benjamin: 10 Inch ist halt total aus der Mode gekommen und den Grund haben wir am eigenen Leib erfahren. Die kostet in der Produktion genau so viel wie ein Album, aber du musst es für weniger Geld verkaufen, weil weniger Musik drauf ist – und es wird auch weniger gekauft, weil es kein volles Album ist. Das lohnt sich einfach nicht.
GETADDICTED: Rein finanziell lohnt sich das bei euch also auch eh nicht?
Tobias: (lacht)
Benjamin: Bei uns ist es so, dass wir das jetzt produzieren können und keiner von uns muss Geld dafür bezahlen.
Tobias: Und das ist schonmal eine Steigerung.
Benjamin: Das ist schon richtig fett.
GETADDICTED: Für eine Band wie euch ist es also schon ein Erfolg, wenn ihr bei einer Veröffentlichung nicht draufzahlen müsst?
Tobias: Willkommen im Musik-Business!
Benjamin: Auch wenn wir unsere Labels sehr schätzen, die da so viel Geld reinbuttern wie sie können – an denen liegt es auf jeden Fall nicht. Es ist ja nicht nur das Aufnehmen und produzieren, die Folgekosten sind ja auch noch riesengroß. Aber so isses halt, kann man nichts machen – und deswegen ist es ja so cool, dass es funktioniert hat. Wir können jetzt was rausbringen, was komplett für uns bezahlt wurde – außer unsere Lebensmittel in der Aufnahmewoche.